Peri-Stellungnahme zur Diskussion des Wiesbadener Urteils / 2. April 2014

Im Zuge der Berichterstattung zu dem Urteil in Wiesbaden im Mordfall Jolin S. fielen in der Presse Stichworte wie „Kulturbonus“ oder „Islam-Rabatt“. Dies entspricht nicht der Intention, die peri e.V. mit seiner Berichterstattung über die Gerichtsverhandlung hatte und hat.

Seit dem Urteil debattiert die breite Öffentlichkeit den Prozess und zitiert u.a. auch unsere zweite Vereinsvorsitzende und Gerichtsbeobachterin Brigitta Biehl. Es liegt in der Natur der Sache, dass Zitate oft verkürzt eine Meinung darstellen und zum Teil den Gesamtkontext vernachlässigen, in dem die Äußerungen getroffen wurden. Am 2. April 2014 sollte Brigitta Biehl als Gast in der RTL-Sendung SternTV zum Fall Jolin S. diskutieren und unsere Position verdeutlichen. Kurz vor der Sendung wurde sie wieder ausgeladen, obwohl Frau Biehl in der Programmvorschau bereits als Gast angekündigt wurde.  Solche und ähnliche Vorfälle musste bereits unsere erste Vorsitzende Serap Cileli mehrfach erleben. Zuletzt mit den ARD-Sendungen Morgenmagazin und Günter Jauch.

Wir möchten daher ausdrücklich folgende Stellungnahme abgeben:

1) Wir halten die Tat für einen sog. „Ehrenmord“. Peri e.V. definiert als Ehrenmord eine Tötung, die zur Wiederherstellung der (vermeintlichen) Ehre einer ganzen Familie begangen wird. Es geht ausdrücklich nicht um die narzisstische Kränkung eines Einzelnen, wie dies bei Tötungen z.B. aus Eifersucht der Fall ist, sondern um die Besorgnis, dass das Ansehen der Familie in der eigenen Community leidet. Um zu vermeiden, dass die Familie durch das Fehlverhalten eines Einzelnen gesellschaftlich geächtet wird, gilt die Tötung als denkbares Mittel, um den Ehrverlust zu vermeiden oder die Ehre wiederherzustellen.

Dabei ist insbesondere wichtig zu wissen, dass in diesen Familien die Nachkommenschaft strikt den Regeln, wie sie die Eltern, insbesondere der Vater, aufgestellt hat, unterworfen sind. Gerade ein freizügiges Leben nach „westlicher“ Art ist verhasst. Nachkommen, die gegen diesen Kodex verstoßen, ruinieren das Ansehen der Familie und damit deren Ehre.
Bei diesen Familien handelt es sich um solche, die ihre archaische Tradition leben. Mit einer bestimmten Religion hat das nichts zu tun und dies wurde von uns auch nicht in der Form kommuniziert.

Im vorliegenden Fall befürchtete der Täter diesen Ehrverlust für seine Familie. Denn es war von seinem Vater vorgegeben, dass als Partnerin nur eine afghanischstämmige Frau in Betracht kommt. Zumindest sollte es aber eine Muslima sein. Die Schwangerschaft von Jolin S. war das deutlichste Zeichen, dass sich der Sohn nicht an die Vorgaben des Vaters gehalten hatte.

2) Eine Tat, die auf einem derartigen Motiv beruht, liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichthofs (BGH) auf „unterster sittlicher Stufe“. Dieser Ehrbegriff gilt damit für sich genommen schon als „niedriger Beweggrund“ und ist damit ein Mordmerkmal.

3) Im Fall Wiesbaden hat das Gericht den Angeklagten wegen Mordes verurteilt. Dies ist die Höchststrafe! Eine höhere Strafe gibt es im deutschen Gesetz nicht. Das Gericht hat zwar nicht das Ehrmotiv erwähnt, aber die Mordmerkmale „Heimtücke“ und „sonstiger niedriger Beweggrund“, nämlich die Tatsache, dass der Täter seine Interessen rücksichtslos über die von Jolin und dem ungeborenen Kind setzte, erkannt.

4) Staatsanwaltschaft und Nebenklage haben beantragt, die besondere Schwere der Schuld festzustellen. Dies bedeutet, dass damit verhindert wird, dass der Täter nach 15 Jahren aus der Haft entlassen werden kann (Auch ohne Feststellung der besonderen Schwere der Schuld erfolgt eine Entlassung nach 15 Jahren nicht unbedingt und uneingeschränkt). Das Gericht hat dies aus mehreren Gründen abgelehnt:
– die Tat weiche im Tatbild nicht erheblich von anderen Morden ab
– bei dem Täter handele es sich um eine ungefestigte Persönlichkeit
– aufgrund seines „kulturellen und familiären Hintergrundes“ habe sich der Täter in einer Zwangslage befunden.

Die Kritik von peri e.V. bezieht sich auf die Begründung  zum „kulturellen und familiären Hintergrund“, die unserer Meinung nach ohne Not ins Urteil gebracht wurde.

Die Rechtsprechung zur Berücksichtigung des soziokulturellen Hintergrundes bei Ehrenmorden und Blutrachetaten geht dahin, dass die Herkunft des Täters dann zu berücksichtigen ist, wenn er in seiner Herkunftstradition noch so verhaftet ist, dass seine Entscheidungsfreiheit zum Zeitpunkt der Tat eingeschränkt ist und er keine Möglichkeit hatte, die Wertvorstellungen der deutschen Rechtsordnung zu kennen und nach ihnen zu handeln.

Nach Auffassung von peri e.V. mag dies bei einer einfach strukturieren Person, die sich erst kurze Zeit in Deutschland aufhält, der Fall sein. Doch der hiesige Täter wurde allerdings in Deutschland geboren, ist hier aufgewachsen, hat hier die Schule besucht und studierte. Insofern halten wir die Entscheidung des Gerichts, die besondere Schwere der Schuld zu verneinen, jedenfalls mit dieser Begründung für falsch.

Es wurden nun Gegensätze zu einer Untersuchung von Frau Julia Kasselt  konstruiert, die zu dem Ergebnis kam, dass „Ehrenmörder“ härter bestraft würden als „Partnerschaftstäter“. Hier muss kein Widerspruch bestehen:
Wie oben dargelegt, gilt nach der Rechtsprechung des BGH das Motiv „Ehre“ allein schon als „niedriger Beweggrund“ mit der Folge, dass eine Verurteilung wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe zwingend geboten ist.
Bei sog. Partnertötungen kann es durchaus sein, dass kein Mordmerkmal vorliegt mit der Folge, dass die Tat nur als Totschlag verurteilt wird (die Tötung ist z.B. nicht heimtückisch, weil sie im Rahmen eines Streites geschah).

Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen:
Die Kritik von peri e.V. richtet sich ausschließlich gegen den Satz, mit dem die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld verneint wurde. Dies ist in der peri-Berichterstattung  auch genau so zum Ausdruck gekommen. Die Entscheidung selber mag im Ergebnis mit den beiden anderen Begründungen vertretbar sein, wobei peri e.V. allerdings davon ausgeht, dass beim Vorliegen mehrerer Mordmerkmale und einem tateinheitlich verübten Schwangerschaftsabbruch durchaus auf eine solche hätte erkannt werden können.

 

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